Kaschmir-Konflikt
Selten war die Spannung zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan so groß wie nach den jüngsten Ereignissen. Im Mittelpunkt steht die Region Kaschmir – ein Tal im Himalaya, auf das beide Staaten Anspruch erheben.
Historische Hintergründe
Der bewaffnete Konflikt zählt zu den ältesten der Welt und begann bereits 1947 mit der Auflösung Britisch-Indiens und der Gründung der unabhängigen Staaten Indien und Pakistan. Ziel Pakistans war eine muslimische Nation in Südasien, verbunden mit der klaren Abgrenzung zum säkularen Indien und seiner hauptsächlich hinduistischen Bevölkerung.
Die Aufteilung der Staatsgebiete orientierte sich damals weitgehend an der religiösen Zugehörigkeit. Das mehrheitlich muslimische Fürstentum Jammu und Kaschmir, regiert von einem hinduistischen Maharadscha, geriet dadurch in eine schwierige Lage. Während es ursprünglich nach Unabhängigkeit strebte, veranlassten Einfälle pakistanischer Stammesmilizen den Maharadscha ein Angebot seitens Indiens anzunehmen: Angliederung an das indische Staatsgebiet gegen militärischen Schutz - was wiederum den ersten Krieg zwischen Indien und Pakistan provozierte. Dieser endete 1949 mit einem von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand. Die dabei gezogene „Line of Control“ teilt die Region bis heute und gilt als De-facto-Grenze. Dennoch beanspruchen beide Staaten weiterhin das gesamte Kaschmir-Gebiet für sich.
Zwei weitere Kriege folgten, was zur Unabhängigkeit Bangladeschs und der Verpflichtung zu bilateralen Verhandlungen führte. Trotz dessen leidet die Bevölkerung Kaschmirs weiterhin unter anhaltender Gewalt. Seit 1989 häufen sich bewaffnete Aufstände, vor allem durch islamistische und separatistische Gruppen. Indien hingegen nutzt die sich immer wieder zuspitzende Lage, um seine Militärpräsenz auszubauen sowie Rechte und Freiheiten in der Region weiter einzuschränken.
Aktuelle Situation
Seit 2008 haben die Spannungen zwischen beiden Staaten wieder zugenommen. Am 26. November 2008 verübte die islamistische Terrorgruppe Laschkar-e-Taiba - deren Ableger “The Resistance Front” den aktuellen Anschlag in der Kaschmir-Region für sich reklamiert - mehrere Anschläge in Mumbai: 170 Menschen werden getötet, weitere 300 verletzt. Dieses Ereignis wird heute noch in der indischen Bevölkerung als Nationaltrauma angesehen.
Weitere Anschläge in der Kaschmir-Region 2016 (Pathankot) und 2019 (Awantipora) ließen den indischen Premierminister Modi den Anlass, die weitreichenden Autonomierechte der muslimischen Unionsstaaten in der Verfassung aufzuheben und die Kaschmir-Region in zwei Unionsterritorien zu unterteilen. Sie sind Neu-Dehli direkt untergeordnet, die Regionalparlamente haben kaum Kompetenzen. Seitdem wird versucht, Druck auf die mehrheitlich muslimische Bevölkerung in der Region auszuüben wie mit Vergeltungsschlägen durch Abführung von Verdächtigen ohne Gerichtsurteile.
Am 22. April 2025 kam es zu einem erneuten Terroranschlag in der Kaschmir-Region, bei dem 26 Menschen - überwiegend Inlandstouristen hinduistischer Konfession - ums Leben kamen und weitere 17 verletzt wurden: Seitdem eskaliert der Konflikt. Innerhalb weniger Tage wurden sowohl von Pakistan als auch von Indien harte Maßnahmen getroffen: So schickte Indien am 23. April zehntausende zu den schon 500.000 stationierten Soldaten in die Region und setzte am Folgetag den Indus-Wasservertrag aus. Pakistan schloss daraufhin seinen Luftraum für indische Flüge und wies zuerst Diplomaten, später auch indische Staatsbürger aus, dem Indien mit der Ausweisung pakistanischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf indischem Territorium mitfolgte. Auch wenn UN-Generalsekretär António Guterres versucht, zwischen beiden Atommächten zu verhandeln, ist eine Deeskalation zunächst nicht in Sicht.
Geopolitische Implikationen
Geopolitisch relevant ist die Kaschmir-Region schon aufgrund dessen, dass die Teilgebiete von drei verschieden Atommächten gehalten werden: Indien (Jammu und Kaschmir; Ladakh), China (Aksai Chin; Shaksgam Valley) und Pakistan (Azad Jammu und Kaschmir; Gilgit-Baltisan).
China hat ein ökonomisches Interesse an Stabilität in der Region, denn der China-Pakistan Economic Corridor, ein Teil der Belt and Road Initiative, verläuft durch Gilgit-Baltisan bis nach Gwadar, einem Tiefseehafen am Arabischen Meer.
Eine zentrale Rolle im Konflikt zwischen Indien und Pakistan spielt Wasser als strategische Ressource. Pakistan ist stark vom Wasser des Indus‘ und dessen Nebenflüssen abhängig:
Die Suspendierung des bilateralen Indus-Wasservertrages durch Indien bedroht einen Großteil der pakistanischen Landwirtschaft - diese macht fast 1/4 der Wirtschaftsleistung aus, 70 % der Trinkwasserversorgung und somit auch die seit 1960 durch den Vertrag gewährte Stabilität in der Region. Hinzu kommt, dass Experten davon ausgehen, dass die Abflussmenge infolge des Klimawandels um bis zu 40% zurückgeht. Indien kooperiert außerdem seit einiger Zeit mit den Taliban, der afghanischen de-facto-Regierung, hinsichtlich des Baus weiterer Staudämme entlang des Kabul-Flusses, einem weiteren Zufluss des Indus‘.
Auch die konfliktreiche Situation zwischen Pakistan und Afghanistan sowie eine innenpolitisch von Gewalt geprägte Situation in Pakistan - 2024 starben weit über 1000 Pakistani bei Anschlägen - beeinträchtigen die Stabilität in der Region. Indiens zunehmend hindu-nationalistische Tendenzen tragen ihr Übriges dazu bei, dass abzuwarten ist, bis zu welchem Grad der Konflikt eskaliert.
Unklar ist bis dato auch, wie viel Einfluss die Großmächte USA, Russland und China, und die Vereinten Nationen nehmen können. Bisher wird von allen Seiten vor allem zur Zurückhaltung gemahnt.
Quellen und Artikel zum Nachlesen:
https://www.deutschlandfunk.de/indien-pakistan-kaschmir-konflikt-anschlag-100.html
https://www.tagesschau.de/thema/kaschmir-konflikt
https://academic.oup.com/jogss/article/10/1/ogae034/7825987
Sicherheitspolitischer Wochenrückblick
In der Woche des 28. Aprils gab es außerdem noch andere interessante sicherheits- und außenpolitische Entwicklungen in der Welt:
Freitag, 02.05.2025 / Angriff auf Hilfsschiff vor Malta
Am frühen Morgen des 2. Mai 2025 wurde das zivile Hilfsschiff Conscience der Freedom Flotilla Coalition (FFC) in internationalen Gewässern vor der Küste Maltas mutmaßlich von zwei Drohnen angegriffen. Dabei kam es zu einem Brand an Bord, vier Personen erlitten leichte Verletzungen.
Die NGO macht Israel für den Angriff verantwortlich, da das Schiff auf dem Weg war, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen und die israelische Blockade zu durchbrechen. Israel hat bisher keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgegeben, ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit und die aufgezeichneten Flugdaten eines israelischen Flugzeugs sind allerdings Indizien, welche für die Darstellungen der FFC sprechen.
Neben dem eigentlichen Vorfall wirft das Ereignis einmal mehr die Fragen nach der völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit der israelischen Blockade von Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen auf.
Verfassungsblog: https://verfassungsblog.de/gaza-blockade-humanitares-volkerrecht/
Samstag, 03. Mai 2025 / Parlamentswahlen in Singapur
Am 3. Mai fanden Parlamentswahlen in Singapur statt, bei denen die konservative Volksaktionspartei mit dem amtierenden Premierminister Lawrence Wong als stärkste Kraft hervorging. Das Ergebnis war aufgrund der politischen Situation mit einer institutionell geschwächten Opposition zu erwarten. Auch wenn Kontinuität weiterhin die politische Lage in Singapur bestimmt, ist fraglich, wie sich der Inselstaat außenpolitisch zukünftig verhalten wird: Neben engen wirtschaftlichen Beziehungen zu China finden sowohl mit China als auch mit den USA gemeinsame Militäroperationen statt.
FAZ: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/singapur-regierungspartei-gewinnt-wahl-110454215.html
Sonntag, 04. Mai 2025 / Neuwahlen in Rumänien und Regierungskrise
Wegen des Verdachts auf illegale Einflussnahme wurde die im November 2024 abgehaltene Präsidentschaftswahl in Rumänien annulliert. Der damalige Wahlsieger, der parteilose, prorussische und rechtsextreme Kandidat Călin Georgescu, wurde von der Neuwahl ausgeschlossen. Die gerichtliche Entscheidung führte in großen Teilen der Bevölkerung zu massiven Protesten und viele warfen den etablierten Parteien vor, ihnen die Wahl gestohlen zu haben.
Im ersten Wahlgang der Neuwahl lag George Simion vorn – prorussischer und rechtsextremer Vorsitzende der Partei AUR. In einer Stichwahl wird er gegen den unabhängigen, proeuropäischen Bürgermeister von Bukarest, Nicușor Dan, antreten. Obwohl das Präsidentenamt in Rumänien vor allem repräsentative Funktion hat, ist der Vorgang außenpolitisch von hoher Relevanz. Zum einen steht der Vorwurf im Raum, Russland habe gezielt Einfluss auf die Wahl genommen. Zum anderen spielt Rumänien mit seiner langen Grenze zur Ukraine eine zentrale Rolle als Drehscheibe für westliche Waffenlieferungen an das Nachbarland.
Am Folgetag ist der rumänische Ministerpräsident aufgrund der Wahlniederlage seiner Partei zurückgetreten und hat somit eine Regierungskrise ausgelöst.
ZDF: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/praesident-wahlen-rumaenien-100.html